Sonntag, 8. Juli 2012

DIE MACHT UND DAS SYSTEM


Systemkritiker und Systemanalysten: Nietzsche Freud Althusser Foucault Agamben

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Der Begriff System tritt in gesellschaftspolitischen Diskussionen häufig auf, ist aber auch sehr problematisch.
Man kann ein System als einen Regelkreis sehen, der sich selbst erhalten will. Man spricht dann von Autopoiesis. Dieser Begriff ist eigentlich der Biologie entlehnt, spielt aber in den Soziologien von Niklas Luhmann und Talkott Parsons eine grosse Rolle.
Im Linken Diskurs, besonders in Folge der Bewegungen der 60er-Jahre, erhielt der Begriff System zusammen mit dem Begriff Systemkritik eine weitere heikle Bedeutung. Menschen, die mit solchen Begriffen jonglierten, wurden schnell in die kommunistische Ecke geschoben. Doch darum geht es nicht.

Man kann unter System ganz einfach ein gesellschaftliches Geflecht verstehen, das eine bestimmte Struktur aufweist und dessen Komponenten funktional miteinander verbunden sind. Das muss aber nicht nach dem biologischen Regelkreismodell erfolgen.
Diese System und seine Struktur können anhand von verschiedenen Merkmalen analysiert werdne.
Eine der wichtigsten Kennzeichen eines solchen Systems ist die Verteilung von Macht. Diese wird heute sehr häufig durch Kapital ausgedrückt, kann aber auch andere Ausprägungen haben. Das heisst nicht, dass in anderen historischen Phasen Kapital nicht besonders wichtig war, nur heute spielt Kapital eben eine besonders grosse Rolle.

In einer Gesellschaft wirkt fast immer eine Art Macht. Der Begriff ist sehr abstrakt und allgemein. Ihre Wirkung aber konkret. Wir denken dabei nicht an irgendwelche obskuren Verschwörungstheorien. Es geht uns um die Realität. Man kann die Macht einerseits als eine Eigenschaft definieren, die in einem System unterschiedlich verteilt ist. Man kann die Macht aber auch als Einheit (Entität) sehen, die hinter bzw. über dem System steht und sein Funktionieren (Funktionsfähigkeit) erzwingt.

Die so definierte Macht ist auch das, was uns dazu zwingen will, im Sinne des Systems zu funktionieren. Damit haben wir schon mehrere Begriffe: Macht, System, Struktur, Funktion(ieren).


Angepasst-Sein im System

Was Angepasst-Sein bedeutet, dürfte klar sein: Arbeiten, Kinder Kriegen, ein Auto kaufen, ein Haus bauen und den Garten pflegen. Wenigstens bedeutet es dies im heutigen System. Dieses will wie die vielen früheren System funktionieren.
Die Menschen, auf die das zutrifft, werden Konservative oder Bürgerliche genannt. Beide Begriffe sind indes etwas heikel: Konservativ sind solche Menschen insofern, als sie das System nicht grundsätzlich in Frage stellen. Andererseits befindet sich das System ja in einem permanenten (fortlaufenden) Änderungsprozess und in diesem müssen die sog. Konservativen mitlaufen.
Bürgerlich ist auch ein heikler Begriff, da er eigentlich beine bestimmte gesellschaftliche Schicht oder Klasse bezeichnet und dazu noch eine, die angeblich, also nach Meinung vieler Sozialanalysten, heute herrscht.
Der angepasste Mensch in der heutigen Zeit muss Erwerbsarbeit begrüssen, weil sie die weitere Kapitalakkumulation vorantreibt. Der Betreffende guckt vielleicht nur darauf, ob ihm seine Arbeit auf seiner Mikroebene etwas bringt, also nützt. De facto unterstützt er aber das System auf der Makroebene.
Neben der Produktion durch Arbeit ist aber auch die Konsumption, also der Verbrauch der produzierten Güter notwendig. Auch dafür ist der system-konservative Mensch zuständig.
Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass er er für die Systemerhaltung Anzug und Krawatte tragen muss. Das ist einfach nur ein äusseres Zeichen (Symbol) der Unterwerfung unter das System. Es ginge auch ohne.
Es handelt sich also um einen Verstärker.


Freiheit im System trotz Angepasst-Sein

Kann man sich nun von dieser Macht befreien, also seine persönliche Freiheit erlangen oder bewahren?

Ja, es wäre denkbar, ist aber unwahrscheinlich.

Bedingungen:
1. Man müsste in einem liberal verfassten politischen System leben, dass einem maximale politische Freiheitsrechte einräumt.
2. Man bräuchte dazu noch ökonomische Eigen-Macht. Im Prinzip müsste man schon von Geburt aus sehr reich sein. So wird die eigene Unabhängigkeit gewährt. Alternativ müsste man im Lotto gewinnen oder anders zu Geld kommen. Wenn man aber über reguläre Erwerbsarbeit zu Geld kommt, macht man sich bedingt abhängig vom System. Für die meisten ist das aber nicht vermeidbar.
3. Neben politischer und wirtschaftlicher Macht benötigt man Erkenntnis, wie das System funktioniert, um seinen Tücken zu entgehen.

Erörterungen über die Macht finden wir in der Literatur schon bei den Alten Griechen. In der Moderne ist aber Nietzsche wichtig. Ebenso Freud. Althusser hat die Durchsetzung der Macht durch Ideologische Staatsapparate (ISA) und Repressive Staatsapparate (RSA) erläutert. Eine Spezialisierung der Machtanalyse auf Biomacht finden wir bei Foucault. Die soziologische Systemtheorie bzw. den Erhaltungswillen einen Systems hat Luhmann beschrieben.
Interessanterweise findet man über die Themen System und Systemanpassung sehr viele Ausführungen im Manifest des mutmasslichen UNABombers, Ted Kaczynski. Kaczynski beschreibt auch, dass und warum die sogenannte (Neue) Linke nicht unangepasst ist, obwohl sie ständig versucht, so zu tun, als ob sie es wäre.


Unangepasst-Sein im System

Neben einer Anpassung an das System und dem Versuch, sich mit ihm zu arrangieren und halbwegs frei zu sein (unter den a. a. O. genannten Bedingungen) gibt es natürlich die Möglichkeit des Unangepasst-Seins.
Berichte über Aussteigertum gibt es schon aus der Antike und in vielen Kulturen.
Hierzu gehören Diogenes, diverse Yogis, aber auch der späte Miyamoto Musashi.
In der Moderne ist es uns v. a. bekannt aus den Oppositionsbewegungen der 60er-Jahre und ihren Folgebewegungen.
Davor warne ich aber! Ein Ausstieg aus der Gesellschaft bedeutet zwar zunächst eine Flucht vor ihren Zwängen, macht einen aber auch schwach. Schliesslich bleibt das System ja bestehen!
Viele berühmte Aussteiger sind nie ganz ausgestiegen oder sie sind es nur auf Zeit. Entweder haben sie noch Familienvermögen gehabt oder sie stahlen oder sie handelten mit illegalen Materialien wie Drogen oder sie wurden als Künstler (Schauspieler, Maler, Musiker) berühmt und kamen so zu Geld. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Manson Family. Die Gruppe stahl, dealte mit Drogen und nahm Musik in Studios auf. Gleichzeitig wurden einige Mitglieder (z. B. Sandra Good) finanziell von ihren Familien unterstützt.
Es gibt allerdings einige wenige Beispiele, wie jemand ganz oder nahezu ganz aus dem System aussteigt und so halbwegs passabel überlebt. Ted Kaczynski hat sich damit beschäftigt.


Halbangepasst-Sein im System ("Miami-Vice-Stil")

Eine weitere Möglichkeit ist das Halbangepasst-Sein. Dazu raten wir.
Das bedeutet, dass man das System nicht völlig ablehnt oder sich sogar ihm zu entziehen versucht, sondern dass man es als Rahmen (Framework) anerkennt, sich aber in einigen Punkten unangepasst verhält.
(Zusätzlich gelten zu diesem Thema die Punkte, die wir anderswo über "Freiheit im System" geschrieben haben.)

Verlangt das System (Wirtschaft, Familie usw.) z. B., dass man Wirtschaft studiert, so könnte man, statt nur Wirtschaft oder eben gar nicht Wirtschaft zu studieren auch Wirtschaft und eine Philologie studieren.

Verlangt das System, dass man gut in der Schule ist, so könnte man in den meisten Fächern gut in der Schule sein, in einigen aber demonstrativ nicht und gleichzeitig bedingt gegen konventionelle Bekleidungsvorschriften verstossen. Alternativ kann man auch nach der Schule oder interim einen sozialen Dienst machen oder ein Auslandsjahr verbringen.

Ein weiteres Vorgehen wäre, sich "im Dienst" angepasst zu verhalten und seine vorgebliche Pflicht zu erfüllen, sich aber sonst "ausser Dienst" unangepasst zu verhalten. Man kann dann z. B. kreativ sein und Texte schreiben, Bilder malen und Videos drehen. Das WWW macht es inzwischen möglich, die Produkte der eigenen Kreativität wirksam zu publizieren. (Ob man allerdings damit Geld verdienen kann, ist eine andere Sache.)

Dieses Vorgehen bezeichnen wir als Miami-Vice-Stil: Damit meinen wir den Stil dieser TV-Serie, der sich schon bekleidungstechnisch vom konservativen Stil (Marke "graue Maus" mit Anzug, Hemd und Krawatte), aber auch vom Aussteigerstil infolge der 60er-Jahre unterschied. Dieses Vorgehen in der Kleidung kann man auch auf die Sprache übertragen und auch hier einen Stil zwischen bürgerlich-angepasst und vulgär-unangepasst pflegen.
Es geht hier nicht darum, die Serie GENAU nachzumachen. Viele betrachteten sie als zu show- und posermässig. Es geht lediglich um den Mittelweg zwischen Anpassung und Nicht-Anpassung. 

Sicher kann man sich mit dieser Lebensphilosophie Feinde machen: Die Angepassten kritisieren das Nicht-Völlig-Angepasst-Sein und die Unangepassten kritisieren dieses Vorgehen als Halbheit. 
Aber ein wirkliches Unangepasstsein wäre nach unserer Meiung nur dann sinnvoll, wenn das System vor einer geeigneten Revolution und damit vor seiner Abschaffung stünde. 
Man muss da nicht an eine Kommunistische Revolution denken, sondern man könnte auch an die generelle Abschaffung der Erwerbsarbeit durch die Entwicklung von besseren Arbeitsrobotern denken.









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