Sonntag, 3. November 2013

BEWERTUNG DES I. REICHES

Das I. Reich wird gerne als "seltsame Konstruktion" dargestellt, bei der man nicht einmal weiss, ob es sich um einen Staat gehandelt hat. Auch weiss man angeblich nicht, ob es ein Deutsches Reich war oder nicht.

Der Begriff Reich, der heute aufgrund der Nazizeit etwas kritisch gesehen wird, bedeutete zunächst, dass diese Kostruktion sich in der Nachfolge des antiken Römischen Reiches (Imperium Romanum/Romanorum) sah. Eigentlich war der Osten des Römischen Reiches mit der Hauptstadt Byzanz, bzw. Konstantinopel noch existent. Aber er befand sich zur Zeit der Kaisergründung Karls I. (des Grossen) unter Bedrängnis und - wie einige zeitgenössische Quellen berichten - unter weiblicher Herrschaft. Das waren damals Gründe (oder Vorwände), ein neues Reich als Nachfolgereich des Römischen Reiches zu finden.

Als das Reich Karls des Grossen dann in drei Teilungsverträgen geteilt wurde, ging die Kaiserkrone nach einigen Turbulenzen auf das östliche Frankenreich über. Die dortigen Könige mussten aber das ganze Mittelalter hindurch immer noch nach Rom ziehen, um die Kaiserkrone zu empfangen.
Das entstandene Reich dehnte sich in der Folgezeit territorial aus und umfasste in seiner Hochzeit drei Königreiche, nämlich das deutsche Königreich, das burgundische Königreich und das italische Königreich ("Reichsitalien").

Das Gesamtreich wurde dann Imperium Romanum (Romanorum) oder Sacrum Imperium o. ä. genannt. Erst gegen Ende des Mittelalters, als viele burgundische und itali(eni)sche Gebiete verloren gingen, prägte sich die Bezeichnung "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" ein.
Häufig wird gesagt, dass dieses Reich kein Staat im modernen Sinne sei und sich auch nicht als deutsch ansah. Das ist nur bedingt richtig. Es gab sicher im Diskussionsprozess einer Reichsreform seit dem ausgehenden Mittelalter Überlegungen, wie eine Staatlichkeit des Reiches auszusehen hätte. Eine wichtige Institution war der Reichstag, dessen Aufgaben und Bedeutung durch die Reichsreform Maximilians I. klarer umrissen wurden. Seit 1663 tagte er als Immerwährender Reichstag in Regensburg. Man errichtete auch Reichskreise, erhob den Gemeinen Pfennig als Reichssteuer und erschuf Institutionen wie das Reichskammergericht. Der Gemeine Pfennig konnte sich aber nicht durchsetzen und ein Nachfolger von ihm, der Kammerzieler, finanzierte schliesslich nur das Reichskammergericht. Das Reich verfügte auch über eine Reichsarmee für die Reichsexekution (nach innen und nach aussen), die im Gegensatz zur Kaiserlichen Armee dem Reichstag unterstand und noch gegen Frankreich und das Osmanische Reich gute Dienste leistete, aber in späterer Zeit nahezu bedeutungslos war (z. B. gegen Preussen).
Es gab ferner eine umfangreiche juristische Literatur zu diesem Thema.
Dafür, dass das es schon damals eine deutsche Identität gegeben hat, gibt es auch viele Belege. Ein Beispiel seien nur einmal die Wandkritzeleien von Deutschen Landsknechten auf ihren Italienfeldzügen.

Dass es dann aber nicht zu einer Stabilisierung dieses Reichskörpers kam, lag am Erstarken der zentrifugalen Kräfte im Reich, die von innen und aussen gefördert wurden.  Dabei war es nicht so, dass die Macht des Kaisers zu Lasten aller Partikulargewalten geschwächt wurde, sondern dass sich v. a. die stärkeren Territorialfürsten sowohl gegen den Kaiser als auch gegen die kleineren Territorialfürsten wie Ritter (niederer Adel) und einige Städte durchsetzen konnten.
So ging das Reich langfristig seinem Untergang unter Napoleon 1806 entgegen.
Aussenpolitisch geriet es in die Zange zwischen Frankreich im Westen und dem Osmanischen Reich im Südosten, sowie einiger anderer Bedrohungen. Innenpolitisch wurde es durch das Erstarken der Reichsfürsten und die Reformation geschwächt.
Es gab dennoch immer wieder Versuche, das Reich zu stabilisieren, z. B. unter Karl V. sowie mehrfach im Dreissigjährigen Krieg. In diesem letztendlich für Deutschland verheerenden Krieg hatten die Kaiserlichen um 1630 herum beispielsweise eine Zeit lang die Nase vorn, scheiterten dann aber nicht nur an äusseren Gegnern, sondern an inneren Zerwürfnissen sowohl unter den Fürsten als auch direkt am Hofe.

Es ist generell falsch, das I. Reich bzw. Altreich als durch und durch schwach hinzustellen. Es war über mehrere Jahrhunderte in der Lage, sich politisch und militärisch zu behaupten. Bei frühen Feldzügen gegen den Osten war es stark bis hin zur Expansion (moralisch fragwürdig), bei den Italienfeldzügen in der Zeit der Renaissance konnte es seine Stellung auch behaupten, nutzte aber seine Erfolge auf dem Schlachtfeld nicht wirkungsvoll aus. Am Ende fehlte aber nicht nur die politische Stärke und Einheit, sondern auch institutionelle und gesellschaftliche Modernisierungsschübe.
Auch wirtschaftlich war das Reich durchaus lange Zeit erfolgreich. In Deutschland entstand neben der Landwirtschaft eine grosse Handwerkstradition innerhalb der Zünfte und in späterer Zeit auch ein ausgeprägtes Manufakturwesen, dass aber sehr oft schon unter dem Einfluss der Territorialherren stand.
Im Norden bot die Hanse ein enormes Handesvolumen auf, dass allerdings in der Zeit der Entdeckungen nicht mehr konkurrieren konnte.
Ausserdem gab es ein ausgeprägtes Bergwerkswesen.

Wenn man aber aus der Sicht der Jahrtausendwende auf das I. Reich zurückblickt - in Der Spiegel gab es 2006 eine interessante Ausgabe über das Reich - dann stellt man nach rund 200 Jahren erstaunt fest, dass viele Gebiete, die damals zum Reich gehörten und heute noch teilweise deutschsprachig sind, sich erstaunlich deutlich vom heutigen Deutschland distanzieren. Dazu gehören die Niederlande, Belgien, Luxemburg, die Region Elsass, die Schweiz (Eidgenossenschaft), Österreich, das ehemals teilweise deutschsprachige Böhmen und das lange zum Reich gehörende Schlesien (länger als das ursprüngliche Preussen).

Bis 1989/90 sah es nicht einmal so aus, als ob man die deutschen Teilstaaten BRD und DDR einen könnte. Viele Menschen, die sich hinterher für die Deutsche Einheit aussprachen, waren in Wirklichkeit bis zur sog. Wendezeit dagegen oder gleichgültig. Das betrifft v. a. Politiker der damaligen linken Parteien, aber auch sehr viele des bürgerlichen Lagers. Letztere waren aber nicht aus Antinationalismus, sondern aus Ökonomismus oder Regionalismus bis hin zum Provinzialismus gegen die Deutsche Einheit.



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