Dienstag, 14. August 2012

ALTE SPRACHEN
oder: VOM NUTZEN UND NACHTEIL DER ALTPHILOLOGIE FÜR DAS LEBEN
(frei nach Nietzsche)


Das Thema "Alte Sprachen" wird in Bildungsforen im RL und im Internet gerne heiss diskutiert.

Das geschieht meist vor dem Schulhintergrund, aber auch universitär und spaltet dialektisch in Extrempositionen wie "unnützer, alter Kram" oder "Rettung des Abendlandes". Das wollen wir hier so nicht tun.

Die hier vertretene Position ist trotzdem äusserst kritisch gegenüber den alten Sprachen. Das wird einige verwundern, weil wir in unsere Beiträge manchmal Rückbezüge auf die Antike einbauen. Die distanzierte Einstellung zum Altsprachenunterricht kommt daher, dass der berufliche Nutzwert fast nicht vorhanden ist und auch daher, dass der berufliche oder sonstige Nutzen von alten Sprachen von deren Verteidigern oft manipulativ überhöht und geradezu erlogen wird. Das macht einen Altsprachenzwang für die vielen, die es nicht unbedingt beruflich brauchen (z. B. in der Wissenschaft) immer fragwürdiger.

Wenn man die Alten Sprachen allerdings als Hobby wählt, sieht die Sache etwas anders aus:
Wir betrachten also die Alten Sprachen als Hobby, das man freiwillig wählt oder eben nicht wählt. Sicher kann man sie/es auch "institutionalisieren", also in der Schule lernen oder an der Uni studieren. Für uns geht es hier aber nicht um "Pflichtunterricht".
Uns geht es auch nicht nur um Latein oder Latein und Altgriechisch, sondern auch weitere alte Sprachen.

Wir haben weiter unten Pro-Argumente, Pseudo-Pro-Argumente und Anti-Argumente gegenübergestellt. Auch die Gefahren des Lernens Alter Sprachen sollte man nicht verheimlichen.

Wir wollen aber zuerst die Frage beantworten: Welche Altsprachen sind aus europäischer Sicht interessant?
(als Hobby!)

Und da empfehlen wir 4:
1. Latein
2. Griechisch
3. Ägyptisch (Mittelägyptisch)
4. Hebräisch

Latein ist sicher am naheliegendsten, weil es in die europäische traditionelle Allgemeinbildung eingegangen ist.
Allerdings sind die lateinischen Schriften für einen rational-analytischen Leser gar nicht so interessant.
Wir halten daher Altgriechisch von der Literatur her für interessanter, von der Schriftentwicklung sogar Ägyptisch. Ägyptische Texte sind manchmal auch literarisch interessant, aber nicht so rationalistisch wie die griechischen.
Von den Griechen kann man gut die Historiker lesen und Naturwissenschaftler bzw. -philosophen wie Aristoteles. Von den Ägyptern könnte man politisch Thutmosis III., Echnaton und Ramses lesen. Literarisch z. B. die "Klagen des Bauern (Oasenmannes)".
Hebräisch kann man lernen, weil es für die jüdische und christliche Gedankenwelt und ein bisschen für die antike Geschichte relevant ist, aber man darf es auch nicht überbewerten.

Lernbar sind alle 4 von den oben genannten. Das Germanische und das Gallische wären auch interessant, aber das Germanische wurde über das Gotische erst in der Spätantike kodifiziert und das Gallische ist uns fast nur über kurze Inschriften überliefert. Immerhin kennen wir aber inzwischen den wichtigsten Wortschatz. Es ist auch nicht so, dass die Gallier nur mündlich überlieferten, wie manche durch die Cäsarlektüre immer noch glauben.

Weitere interessante Alte Sprachen sind Akkadisch (Assyrisch-Babylonisch), Altpersisch, Sanskrit und klassisches Chinesisch.

Ein Hauptfehler des Herangehens an Alte Sprachen ist unserer Meinung nach die Dominanz der humanistisch-philologischen Annäherung. Man sollte sich ihnen lieber historisch-politisch oder naturwissenschaftlich nähern. Aber das bleibt natürlich umstritten und ist Ansichtssache.
Die Menschen der Antike waren politisch handelnde, arbeitende und erfindende Subjekte und nicht bloss Hexameter-Rezitierer.


Pro-Argumente: Vom Nutzen der Alten Sprachen

- Alte Sprachen können zunächst einmal von Interessierten als Selbstzweck gelernt werden.
(daneben gibt es aber auch diverse Nebeneffekte:)
- Alte Sprachen fördern die Allgemeinbildung.
- Alte Sprachen fördern die Historische Bildung.
- Alte Sprachen fördern etwas die Philosophische Bildung.
- Alte Sprachen fördern etwas die Sprachliche Bildung.
- Die Wissenschaftsterminologie ist oft in Griechisch oder Latein abgefasst.


Pseudo-Pro-Argumente:

- Lateiner sind besser in Mathe, weil die Sprache logisches Denken fördert.
=> erwiesenermassen falsch!
- Wenn man Latein hatte, kann man besser Spanisch lernen, als wenn man vorher Französisch hatte.
=> "
- Ohne Latein kann man nicht ernsthaft Wissenschaft betreiben
=> dann würden die Chinesen, Japaner und die meisten US-Amerikaner irgendetwas anderes betreiben
- Lateiner sind moralisch überlegen.
=> eine gefährliche Behauptung: es gibt zwar Beispiele für moralisch überlegene Lateiner, aber ebenso auch umgekehrte Beispiele wie Heinrich Himmler oder seinen Vater Joseph Gebhard Himmler.
- Latein hilft im Berufsleben.
=> eine der gefährlichsten Behauptungen - häufig vertreten von berufsfernen Altphilologen;
es gibt in Wirklichkeit nur noch wenige Personalchefs, die so denken; einige lachen sogar darüber
- Häufig wird darauf hingewiesen, dass der Altsprachenunterricht an besonders exklusiven Bildungsinstitutionen grossgeschrieben wird (vergleichbar mit Klassischer Musik).
=> Das ist bedingt richtig. Aber die Stärke dieser Institutionen liegt nicht an Lateinselbst. Sie liegt daran, dass Menschen aus der Oberschicht ihre Kinder dort hinschicken und dass durch die hohen Anforderungen Kinder aus Unterschichten herausgesiebt werden.


Anti-Argumente: Gefahren der Alten Sprachen:

- Durch jede alte Sprache "vergeigt" man sich eine neue und reduziert damit seine Berufschancen.
Eine Ausnahme stellen Sprachgenies dar, für die z. B. 10 Sprachen kein Problem sind. Dann können ruhig 2 alt sein.

- Latein kann durch seinen erheblichen Zeitaufwand Lernenergie von Naturwissenschaften oder von Wirtschaft und Recht abziehen.

- Wegen Latein bleiben viele sitzen oder müssen sogar die Schule verlassen. Dann opfert man seine wichtige Schulkarriere einer alten/toten Sprache.

- Soziologen und Gesellschaftskritiker bemängeln bei Latein, dass es als soziales Auslesekriterium eingesetzt wird. Einige Anhänger der Sprache sehen das aber als positiv (Zitat: "Keine Türken auf dem Humanistischen.").


Fazit:

So sehr man einige Aspekte der Alten Sprachen als Hobby oder Forschungsgegenstand thematisieren und bedingt empfehlen kann, so sehr muss man auch vor der Verherrlichung dieser Sprachen warnen.
Alte Sprachen eignen sich als Ergänzung für historisch, sprachlich oder allgemeinbildungstechnisch Interessierte. Für Wissenschaftler mögen sie sogar notwenig sein. Beruflich muss man vor ihnen aber auf der Hut sein. Der berufliche Nutzen der alten Sprachen ist nämlich extrem gering!

Nachweisen muss man heute für die Studienfächer - wenn überhaupt - fast nur noch das (Kleine) Latinum.
Die angeblichen Lateinfächer Medizin und Jura kann man meist ohne Latinum studieren.
Und in kaum einem Beruf wird das Latinum noch verlangt.

Gefährlich wird diese Diskussion v. a. dadurch, dass Berufsvertreter der Alten Sprachen unseriöse und scheinbar "idealistische" Versprechungen machen, obwohl es ihnen in Wirklichkeit im Kern um ihre eigenen (materiellen) Verbandsinteressen geht.

Mit Latein oder Griechisch wird sicher nicht das Abendland gerettet. Auch in der künftigen globalisierten Welt sind diese Sprachen nicht unverzichtbar. Es handelt sich hier lediglich um Scheinargumente. Zuletzt müssen wir noch warnen, wenn immer von einer überraschenden "Renaissance des Latein" die Rede und Schreibe ist: Das trifft - wenn überhaupt - nur für Deutschland zu. Aber auch dort werden die Zahlen von interessierten Altphilologenverbänden frisiert.

Ein Kompromiss wäre, Latein als Drittsprache oder AG anzubieten oder gegebenenfalls Altgriechisch als Viertsprache oder AG. Wenn die Zunft aber weiterhin so über den Wolken schwebt, dann könnte es bald heissen... FINIS.




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